Sommerinterview mit Hans-Michael Gritz

Veröffentlicht am 06.09.2019 in Gemeinderatsfraktion

Im Sommerinterview mit der Kornwestheimer Zeitung beantwortet unser Fraktionsvorsitzender Hans-Michael Gritz Fragen rund um die Bundespartei und Kornwestheimer Kommunalpolitik.

Herr Gritz, die SPD-Mitglieder haben nun wirklich eine große Auswahl an Kandidaten für den Parteivorsitz. Fehlt Ihnen jemand?

Ich hätte mir den niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil sehr gut vorstellen können. Aber er hat leider nicht kandidiert. Ich werde mir nun – wie alle anderen auch – in aller Ruhe die Teams anschauen. Und wir werden bei unserer ersten Ortsvereinsversammlung nach der Sommerpause sicherlich auch noch einmal über die Kandidatenteams sprechen.

Es geht bei der Suche nach den Parteivorsitzenden vielfach darum, ob die SPD in der Großen Koalition bleiben soll oder ob sie sich aus der Regierung verabschieden soll. Wie stehen Sie zur Groko?

Eine schwierige Frage. Nach der Bundestagswahl 2017 war ich zunächst der Ansicht, dass die SPD nicht in die Regierungsverantwortung gehen sollte. Dann allerdings habe ich auch die Notwendigkeit gesehen, aus Verantwortung gegenüber dem Land doch eine Große Koalition zu bilden. Die SPD macht dort zwar gute Arbeit, aber in der Darstellung nach außen geht das unter. Aus parteitaktischen Gründen wäre es vermutlich besser, die Koalition zu verlassen. Aber das Land braucht auch eine Regierung. Es ist ein schwieriger Spagat. Es gibt mitunter Entscheidungen in der Politik, übrigens auch in Kornwestheim, von denen weiß man, dass man dafür nicht gelobt wird.

Wenn man auf lokaler Ebene feste Partner bräuchte und Koalitionen für einen längeren Zeitraum bilden müsste, hätten Sie Wunschpartner?

Nachdem ich das Sommerinterview mit Herrn Ulmer von den Grünen gelesen habe, muss ich sagen, dass es viele Gemeinsamkeiten gibt. Die Grünen wären sicherlich so ein Partner, mit dem man gut zusammenarbeiten könnte. Aber wir haben auch gute Kontakte zur CDU. Aber in Kornwestheim werden wir wie in der Vergangenheit auch mit wechselnden Mehrheiten arbeiten und uns an den Themen orientieren.

Die SPD ist bei der Kommunalwahl vom zweiten auf den vierten Platz abgerutscht. Was hat sie in den vergangenen fünf Jahren verkehrt gemacht?

Ich glaube, wir haben gar nicht so viel verkehrt gemacht. Mir war schon lange vor der Wahl bewusst, dass uns der Bundestrend der SPD in Kornwestheim nach unten ziehen wird. Wir sind zwar gut verortet in der Stadt, aber viele Menschen, zum Beispiel die, die neu hinzugezogen sind, wählen eine Partei.

Haben Sie sich vielleicht im Wahlkampf doch zu sehr auf das Thema Bahnhofstraße und Fußgängerzone fokussiert? Es scheint doch ein Interesse der Händler und der Autofahrer an einer befahrbaren Bahnhofstraße mit möglichst vielen Parkplätzen zu geben.

Wenn man sich die Entwicklung anschaut – das Radio- und Fernsehgeschäft hat zugemacht, das Schuhhaus Schantz wird schließen - , dann ist das Argument, dass man mit dem Auto bis vor die Ladentür fahren muss, entkräftet. Das zieht nicht mehr, weil es die Möglichkeit bei diesen beiden Geschäften gegeben hat und noch gibt. Was wir im Wahlkampf möglicherweise nicht genug deutlich gemacht haben: Die Klimapolitik wird nicht funktionieren, wenn wir nicht auch Veränderungen schaffen. Ja, das wird für manche Leute unbequem werden, das muss für manche vielleicht auch unbequem werden.

Das heißt was für die konkrete Politik in Kornwestheim?

Ich glaube, dass wir zunächst einmal einen Plan benötigen, der den Klimawandel berücksichtigt. Wenn ich mir den Holzgrundplatz anschaue, dann gefällt er mir so nicht, weil er wenig Aufenthaltsqualität hat. Da müssen wir sicherlich etwas tun. Wir haben in der SPD für die Gesamtstadt schon erste Ansätze gemacht – mit unserem Projekt Kornwestheim 300 zum Beispiel, mit dem wir uns für viele Sitzbänke in der Stadt einsetzen, mit unseren Verbesserungsvorschlägen für den Radwegeverkehr. Wir haben da schon mehr angestoßen als die Grünen.

Sind die Sozialdemokraten die wahren Grünen in der Stadt?

Ja, ich habe manchmal das Gefühl. Wobei ich den Grünen ihre Überzeugungen nicht absprechen will. Was für uns in Kornwestheim negativ ist: Jede Partei hat ihren Benchmark. Bei der Wahl im Mai hat man Grün gewählt, ohne genau darauf zu schauen, wie sich die Grünen eigentlich verhalten. Das hat uns geschadet.

Noch einmal zurück in die Innenstadt: Muss man sich nicht von der Idee einer Innenstadt lösen, die Stadtplanung neu denken, weil das Kaufverhalten ein völlig anderes geworden ist? Die Menschen kaufen immer mehr auf der grünen Wiese und im Internet ein.

Vermutlich ja. Eine Innenstadt, in die alle strömen, um einzukaufen, die gibt’s nicht mehr. Wobei wir uns in Kornwestheim mit dem Begriff Zentrum schon immer schwer getan haben, weil wir historisch drei Zentren haben – rund ums Rathaus, das Alte Dorf und eben den Bereich Bahnhof-/Güterbahnhofstraße.  Aber ich möchte die Innenstadt nicht aufgeben. Wir müssen dem entgegenarbeiten, dass dieser zentrale Bereich immer mehr an positiver Ausstrahlung verliert. Vielleicht wird’s weniger Läden geben, möglicherweise müssen wir mehr Wohnraum in der Innenstadt schaffen, man könnte auch an ein Jugendcafé in der Innenstadt denken. Wir müssen uns dringend etwas überlegen. Es einfach passieren lassen, das dürfen wir nicht machen.

Eines der Themen, die Sie besonders vorantreiben, ist der Radverkehr in der Stadt. Was fehlt Kornwestheim zu einer wirklich fahrradfreundlichen Stadt?

Grundsätzlich gesehen finde ich Kornwestheim gar nicht so Fahrradfahrer-unfreundlich. Wir haben schon einiges vorzuweisen – die Ost-West-Verbindung am Rathaus vorbei und durch den Park zum Beispiel. Wir haben auch Fortschritte bei der Beschilderung gemacht, die aber noch verbesserungswürdig ist – insbesondere was die Wege abseits der Hauptachsen betrifft. Wo wir was tun müssen: bei der Nord-Süd-Verbindung, die im Bereich Wette-Center und Ludwigsburger Straße schlecht ist. 

Das hört sich nach sehr bescheidenen Wünschen an.

Es ist sicherlich gut, einen großen Plan zu haben. Aber nach Jahren in der Kommunalpolitik habe ich gelernt zu sehen, was realistisch und machbar ist. Was mich im Übrigen enttäuscht hat, das war das Ergebnis beim Stadtradeln – betreffend die Beteiligung aus den Reihen des Gemeinderats. Drei SPD-Stadträte und ein Grünen-Stadtrat – das war schwach. 

Gibt’s eine Stadt in der Nachbarschaft, von der Sie sagen: Dort ist es für die Radfahrer komfortabel?

Ludwigsburg macht Fortschritte. Aber auch dort gibt’s Schwächen, im Bereich des Bahnhofs zum Beispiel. Stuttgart ist in der Innenstadt ziemlich schwach. Jede Gemeinde in der Region hat meiner Ansicht nach noch Nachholbedarf.

Ab Januar fahren viel mehr Busse durch die Stadt. Wie groß ist Ihre Sorge, dass das Angebot nicht wahrgenommen wird?

Ich hoffe, dass es funktioniert, weil der Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs wichtig ist. Eine Anlaufphase werden wir auf jeden Fall benötigen.

Das Mehr an Bussen entspringt ja nicht dem politischen Willen, sondern der europaweiten Ausschreibung. Firmen, die den Zuschlag haben wollten, haben attraktive Angebote gemacht, die aber möglicherweise über das hinausgeht, was sich rechnet. Sehen Sie das als Problem?

Die Gefahr besteht, dass sich manch einer übernommen hat, das stimmt. Deshalb müssen die Städte und Kreise die Möglichkeit geben, nachzujustieren und auf die Nachfrage zu reagieren.

Die FDP hat im Wahlkampf erfolgreich das Thema „Jugendzentrum“ und den Umzug in die alte Stadtbücherei bespielt. Ist das für die SPD auch ein Thema?

Das ist ein uraltes Thema, das in der Vergangenheit immer wieder aufgetaucht ist. Ich kann mich mit der Idee anfreunden, einen Jugendtreff oder ein Jugendcafé in der Innenstadt zu schaffen, um ein zweites Angebot zu haben, das möglicherweise von einer anderen Gruppe von Jugendlichen genutzt wird als das Juz am Stadtrand. Gleich das Jugendzentrum zu verlegen, da tue ich mich schwer. Ich war, als das Jugendzentrum an den Rand umgezogen ist, als junger Stadtrat Mitglied des Beirats. Und ich habe damals schon gesagt, dass man es sich gut überlegen müsse, ob man das Zentrum verlässt zugunsten des Standorts an der Stuttgarter Straße. Aber das war vor rund 25 Jahren der Wille – nicht nur der Politik, sondern auch der Jugendlichen. Das macht es für mich schwer, diesen Standort jetzt einfach wieder aufzugeben. Ich habe etwas gegen eine Wegwerfmentalität in Bezug auf Gebäude. Wir haben die Entscheidung damals getroffen, viel Geld investiert. Das jetzt einfach wieder abzuschaffen, das fällt mir schwer.  Und zu sagen, die alte Stadtbücherei ist jetzt das neue Jugendzentrum, das funktioniert allein ja schon aus baulichen und rechtlichen Gründen nicht. Auch das Argument, dass alle Städte ihre Jugendzentren in der Innenstadt haben, zieht nicht. In Remseck ist es in der Meslay-du-Maine-Straße – weit abseits aller Ortskerne.

Mit dem ins Gespräch gebrachten Umzug des Jugendzentrums ist es wie mit den Schulen. Auch hat entsteht der Eindruck, als müsse man alle 25 Jahre etwas Neues bauen, weil es neue Schulformen und einen geänderten Elternwillen gibt. Wie geht’s da in Kornwestheim weiter?

Alle Fraktionen sind sich meiner Einschätzung einig darin, dass wir in Kornwestheim im Osten eine neue Grundschule benötigen. Dass die Realschule vergrößert werden muss, ist wohl auch unstrittig. Die Realschule ist quasi zur Regelschule geworden – übrigens mit dem Effekt, dass sie eine sehr diverse Schülerschaft mit relativ leistungsstarken, aber auch mit leistungsschwachen Schülern hat. Bleibt die Frage: Was geschieht mit der Gemeinschaftsschule?

Hat die angesichts einer doch überschaubaren Zahl von Anmeldungen überhaupt eine Zukunft?

Ja, die hat sie unserer Ansicht nach, und die sollte sie auch haben. Es gibt ein hohes Engagement der Lehrer, die einen neuen Weg gehen wollen. Für manche Schüler ist die Form der Förderung gut. Wir würden die Gemeinschaftsschule gerne an ihrem Standort in der Hohenstaufenallee belassen, weil es dort auch die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit dem Gymnasium gibt. Es ist schließlich die Idee der Gemeinschaftsschule, dass sie den guten Schülern auch einen höheren Bildungsabschluss ermöglicht.

Andere Fraktionen wollen, dass die Förderschule, die jetzt noch in der Bolzstraße untergebracht ist, in die Räumlichkeiten der Gemeinschaftsschule schicken, die ihrerseits auf einen Schulcampus an der Theodor-Heuss-Straße zieht. Was machen Sie mit der Förderschule?

Wir schlagen vor, den Gebäudekomplex der Gemeinschaftsschule zu erweitern und dort die Förderschule unterzubringen. Das würde eine Kooperation der beiden Schulen ermöglichen und bei individueller Förderung den Sprung für den einen oder anderen Förderschule in die Gemeinschaftsschule erleichtern. Mit diesem Umzug  würden wir zudem Kapazitäten in der Bolzstraße für die Eugen-Bolz-Grundschule schaffen. Bei einem Umzug der Gemeinschaftsschule zu dieser großen Realschule hätte ich die Sorge, dass sie dort untergeht und nicht mehr wahrgenommen wird.

Wie sehr drängt die Zeit?

Allzu viel Zeit dürfen wir uns nicht mehr lassen, weil die Schülerzahl wächst. Es ist eines der Themen, an die wir schnell ran müssen. Wenn wir jetzt die Weichen stellen, heißt das ja nicht, dass die Gebäude schon da stehen.

In absehbarer Zeit steht die Entscheidung an, ob die Stadt das Baurecht schafft für neun Mehrfamilienhäuser auf dem Rothacker-/Sprecherareal. Steht die Mehrheit, die vor der Wahl noch sicher schien?

Ich kann es nicht beurteilen, weil ich nicht weiß, wie die neuen Stadträte zu dem Thema stehen. Ich persönlich könnte mir auch einen Kompromiss vorstellen. Wir haben in Kornwestheim ohne Frage ein Wohnraumproblem. Das müssen wir angehen – auch an Stellen innerhalb der bebauten Gemarkung, an denen eine weitere Bebauung noch möglich ist. Auf der anderen Seite sehe ich auch die ökologischen Argumente. Wenn man großzügiger bebaut und darauf achtet, dass ökologische Belange berücksichtigt werden, vielleicht kommt man dann ja doch noch zu einer Lösung.

Gibt es von Ihrer Seite Wünsche, was im neuen Gemeinderat anders werden soll?

Ich war mit dem, wie es in den vergangenen fünf Jahren gelaufen ist, sehr zufrieden. Es gab eine gute Zusammenarbeit zwischen den Fraktionen. Wir alten Stadträte müssen den neuen Zeit geben, sich in die Arbeit hineinzufinden, und offen sein für Anregungen.

Was raten Sie den SPD-Kreisräten: Wählt Dietmar Allgaier zum Landrat?

Ich habe denen nichts zu raten, das müssen die für sich entscheiden. Ich kann mir Dietmar Allgaier als Landrat sehr gut vorstellen, kenne aber die anderen Kandidaten zu wenig, um abwägen zu können.

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